Die Erwachsenen stehen sinnlos im Treppenhaus. An der Schwelle der halbgeöffneten Tür steht ein Mädchen. Die Erwachsenen reden gedämpft im Treppenhaus. «Dort im Hof ist noch immer sein Dreirad.» Die Erwachsenen sprechen merkwürdig im Treppenhaus. «Empfangsschein. Pfändung. Haushaltsauflösung. Leerstand.» Die Erwachsenen sprechen sinnlos im Treppenhaus. «Aber sein Innenleben war reich.»
«Was ist ein Innenleben?», fragt sie durch die halbgeöffnete Tür.
Liebes, wie soll ich’s dir erklären? Ein Mensch hat ein Innenleben wie eine Wohnung. Eine Wohnung hat ein Innenleben ganz wie ein Mensch.
Aber in fünfzehn Jahren ging bei ihm nicht einmal das Licht an. Vielleicht waren die Glühbirnen hin. Vielleicht waren die Lampen hinüber. Früher arbeitete er mit Elektrik, jetzt war in seiner Wohnung kein Licht.
Man sah ihn niemals, man sah keinen Schatten, man sah nirgends Bewegung. Nur ein Streifen silbergrauen Stoffs hing unten aus dem Fenster und wehte im Wind wie ein Fähnchen.
Innenleben der Wohnung: Er war selbst ihr Teil, ebenso regungslos, ebenso unsichtbar Er war in ihr grossgeworden, war in ihr altgeworden, war mit ihr altgeworden, war selbst bröckelnder Putz, war mürbes Gemäuer, war Bausubstanz. Und plötzlich wollte jemand das Haus niederreissen.
Das Mädchen tritt auf die Schwelle und fragt: «Gibt’s auch ein Aussenleben?»
Nicht immer. Er grüsste nicht, redete kaum, wollte nie Hilfe. Er hatte noch nicht mal ein Telefon. Nur selten hinkte er zur Telefonzelle.
Nur selten fuhr er auf dem violetten Dreirad, fuhr würdevoll schleppend, fuhr Einkäufe machen. Das Mädchen wollte auch so ein Dreirad. Jetzt steht seins draussen im Hof und keiner berührt es.
Er sprach nicht, Hilfe nahm er nicht an, nur als man das Haus abreissen wollte, sprach er mit allen und bat alle um Hilfe und telefonierte stundenlang bei den Nachbarn.
Nur selten fuhr er auf dem violetten Dreirad, fuhr einkaufen, und nur ein Mal kam er nicht zurück in die Wohnung.
Nicht immer, Liebes, gibt es ein Aussenleben.